Interview mit Prof. Dr.-Ing. Charlotte Thiel
Prof. Thiel, die an der OTH Regensburg das Lehrgebiet Werkstoffe des Bauwesens leitet, forscht mit ihrem Team an der Schnittstelle von Materialwissenschaft, Baupraxis, Digitalisierung und ökologischer Transformation. Aktuell ist sie auf einem sechswöchigen Forschungsaufenthalt in Toronto.
In welchen Themenbereichen lehren und forschen Sie aktuell?
Mein Schwerpunkt liegt auf nachhaltigen Baustoffen und Bauweisen – von ökologisch optimierten Betonen, Lehm- und Recyclingmaterialien bis hin zu innovativen Anwendungen der additiven Fertigung. Wir untersuchen, wie Bauprozesse materialeffizienter, klimaneutraler und automatisiert gestaltet werden können und gleichzeitig eine hohe Leistungsfähigkeit aufweisen. Besonders wichtig ist mir, Forschung und Praxis zu verbinden: Unsere Projekte reichen von der Entwicklung neuer Rezepturen, Life Cycle Assessments über robotergestützte Bautechniken bis hin zu Pilotbauten.
Wie ist Ihre Begeisterung für diese Themen entstanden?
Mich fasziniert schon lange die Frage, wie wir mit begrenzten Ressourcen für immer mehr Menschen zukunftsfähig bauen können. Meine Leidenschaft für die Forschung und dem Lösen stets neuer Herausforderungen habe ich damit während meiner Diplomarbeit entdeckt. Inzwischen stammen viele Impulse aus interdisziplinären Projekten – dort zeigt sich immer wieder, dass man durch den Austausch mit anderen Disziplinen neue Lösungsansätze findet.
Wie entstand die Kooperation mit der TMU in Toronto?
Der Kontakt entstand in einem persönlichen Gespräch mit meinem Kollegen Thomas Linner, dessen Expertise in robotergestütztem Bauen und der Automatisierung von Bauprozessen ich sehr schätze. Ich bin über das Maia Project hier, welches ein breites Spektrum an Disziplinen verknüpft und sich dem wichtigen Thema, dem Umgang mit alternden Arbeitskräften, widmet. Das eröffnet ein großartiges Forschungsfeld, um technologische Entwicklungen mit sozialem Mehrwert zu verbinden und direkt in industrie- und arbeitsbezogene Kontexte einzubetten. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle seiner hervorragenden wissenschaftlichen Mitarbeiterin Merve Karamara, die im Bereich 3D-Druck forscht und meinen Aufenthalt in Toronto maßgeblich mitorganisiert hat und hier in Toronto auch zeitgleich forscht. So können wir auch gemeinsame Antragsideen für zukünftige Projekte weiterentwickeln und unsere Kooperation vertiefen.
Wie wollen Sie die Kooperation in Zukunft weiterentwickeln?
Mir ist wichtig, dass nicht nur die Forschung, sondern auch die Lehre internationaler wird. Wir planen gemeinsame Projekte und Workshops. Zudem arbeiten wir mit Prof. Farrokh Janabi-Sharifi, meinem Gastgeber hier in Toronto, an einem gemeinsamen Forschungsantrag.
Welche Erfahrungen in Toronto haben Sie besonders geprägt?
Toronto ist unglaublich vielfältig – kulturell und wissenschaftlich. Viele Forschungsfragen werden dort in globalen Teams diskutiert, was meinen Blick auf Baustoffinnovation und Bauprozesse erweitert hat.
Welche Tipps haben Sie für Studierende, die internationale Forschungserfahrung sammeln möchten?
Seien Sie neugierig und sprechen Sie Ihre Ideen offen an – sei es bei Professor:innen, Kommiliton:innen oder auch bei Firmen. Wichtig ist auch eine rechtzeitige Planung und die sprachliche Vorbereitung auf das Zielland. Auslandserfahrungen bieten nicht nur die Möglichkeit sich fachlich weiterzubilden, man lernt auch viel über sich selbst.